»Vormittags Massendemonstration im Lustgarten. Über zweihunderttausend Menschen; ein Meer von Menschen, über dem zahllose rote und schwarzrotgoldene Fahnen wehten. Ich sollte sprechen, verzichtete aber, da ich noch immer heiser bin. Die Redner standen auf der Schloßbalustrade, dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal, dem Denkmal Friedrich Wilhelms III. Auf dem Kopf Friedrich Wilhelms saß ein kleiner Junge mit einer schwarzrotgoldenen Fahne. Die Erbitterung gegen die Mörder Rathenaus ist tief und echt, ebenso der feste Wille zur Republik, der viel tiefer sitzt als der vorkriegsmonarchische ›Patriotismus‹.
Um vier mit Kreuter nach dem Grunewald hinaus, um vom armen Rathenau Abschied zu nehmen. Er liegt im offenen Sarge in seinem Studierzimmer, in dem ich so oft mit ihm gesessen habe, den Kopf etwas nach rechts zurückgebogen, einen sehr friedlichen Ausdruck im tief gefurchten Gesicht, über dessen unterem, zerschmettertem Teil ein feines Taschentuch gebreitet ist; nur der graue, kurz gestutzte, zerzauste Schnurrbart sieht darüber hinaus. Einige Blumen lagen auf Brust und Händen; Kreuter und ich fügten rote und weiße Rosen hinzu. Wir waren ganz allein im Zimmer; es herrschte große Stille, und doch in dem zerfurchten, toten, wunden Gesicht eine unausmeßbare Tragödie. Ich empfand sie ähnlich wie am Sarge Nietzsches.«