05. November 1919

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05. November 1919

Erich Mühsam

»Jeder Tag bringt neue Schikanen. Mein Manuskript habe ich zurückerhalten, bis auf die letzten 3 Seiten, die einfach zu den Akten gelegt sind. Mein Geld wird mir weiterhin vorenthalten. Auf dem Gang wird das Fenster jetzt mit einem feinen Drahtnetz versperrt, vielleicht werden unsre Zellen noch ähnlich verziert. Den Herren genügt die einfache Vergitterung nicht allein. Heut kam die Mitteilung, daß uns von jetzt ab auch nachts das Licht von außen abgedreht werden wird. Bis jetzt blendeten wir von 11 Uhr ab, wenn die Türen verriegelt werden, einfach die Fenster ab. Es war uns zugesichert worden, daß unserm Bedürfnis, nachher noch zu lesen oder zu schreiben, einsichtsvoll Rechnung getragen werden sollte. Das ist jetzt auch vorbei. Wenn wir jetzt nachts irgendein Bedürfnis haben, können wir in der versperrten Zelle nicht mal mehr Licht machen. Denn Kerzen gibt es längst nicht mehr. Der Anwalt hat mich leider ganz im Stich gelassen. (...)

Man hat Furcht vor dem 7. und 9. November und will die Revolutionäre an Reisen verhindern, oder aber einen Putsch von rechts vorbereiten. (...)

Hugo Haase, "Der Weltspiegel" vom 16. 11. 1919

Hugo Haase, "Der Weltspiegel" vom 16. 11. 1919

Ein Zufallsereignis kann genügen, um Deutschland vollends in Aufruhr zu jagen, da die ökonomische Lage hinlänglich vorbereitet ist. Das Attentat auf Haase kann vielleicht in seinen Folgen das auslösende Moment sein. Ob wirklich sein Mörder nur den Rechtsanwalt, nicht den Politiker treffen wollte, ist mir sehr zweifelhaft. Der Fall kann möglicherweise so ähnlich liegen wie seinerzeit bei der Ermordung der Kaiserin Elisabeth durch den Anarchisten Luccheni in Genf, den mir nahe Bekannte des Mörders später erklärt haben. Luccheni war Anarchist, aber ein ziemlich unklarer Kopf, allen Kameraden sehr unsympathisch und stand im Verdacht der Spitzelei. An der Ermordung der Frau waren ganz andre Kreise als anarchistische, vor allen nämlich klerikale Kreise interessiert. So wird der arme dumme Teufel von Jesuiten auf die Gelegenheit aufmerksam gemacht sein, daß er sich da als richtiger Anarchist beweisen kann, und Luccheni tat’s, um sich vor seinen Genossen zu rechtfertigen. So wäre es denkbar, daß der verärgerte Voß von Konservativen auf Haase gehetzt wurde, die umso eher die Hände in Unschuld waschen können, als der Täter politisch radikale Tendenzen zu verfolgen vorgibt. Aber daß man zuerst aus der Verwundung eine harmlose Geschichte zu machen versuchte, die sicher in 8 Tagen kuriert wäre, beweist doch, daß man vertuschen wollte. Nun ist das Bein amputiert und der Zustand Haases ist höchst bedrohlich. Stirbt er, so kann sein Tod Anlaß zu Aufregung grade bei den Unabhängigen geben, die dadurch leichter zu gemeinschaftlicher Aktion mit den Kommunisten gelangen könnten. Sicher ist, daß die Luft geladen ist mit Gewitter und Sturm.«

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04. November 1911

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04. November 1911

»Gleich nach unserem Aufbruch fand ich auf einem aufmunternden Zettel die erfreuliche Nachricht, mit den Motoren stehe alles gut und beide gingen ausgezeichnet. Day schrieb "Hoffentlich treffen wir uns auf 80°30' südlicher Breite." Armer Junge, nach kaum 2 Meilen wird er schon ein anderes Lied gesungen haben. Wahrscheinlich hatten sie am Morgen des 29ten schlechten Untergrund. Ich nehme an, sie hatten keine gute Fahrbahn und von da an lief alles schlecht. Sie "verkleckerten" eine große Menge an Petroleum und Schmiermittel. Aber es kam noch schlimmer. Etwa 4 Meilen weiter fanden wir eine Konservenbüchse mit einer inhaltsschweren Nachricht, "Am Ende. Days Motor No. 2, Zylinder geplatzt." Wie ich erwartete, fanden wir eine halbe Meile weiter den Motor, seine Lastschlitten und alles andere. Nachrichten von E. Evans und Day erzählten die Geschichte. Das einzige Ersatzteil war für Lashlys Maschine verwendet worden, da es zu lange gedauert hätte, Days Getriebe so zu verändern, dass es mit 3 Zylindern lief. Sie entschieden also, diesen Motor aufzugeben und mit dem anderen allein weiterzufahren (…) So ist denn der Traum, große Hiilfe an den Motoren zu haben, vorbei! Die Spur des verbleibenden Motors liegt stetig und gerade vor uns, aber natürlich erwarte ich jetzt jederzeit, auch ihn zu sehen. Die Ponies halten sich sehr gut - allerdings ist die Oberfläche weich und die Ladung leicht. Jehu zeigt sich besser als ich erwartet hätte, Chinaman dagegen nicht so gut.«

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03. November 1828

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03. November 1828

Hermann von Pückler-Muskau

»Als ich früh aufstand, und ans Fenster trat, bot sich meinen Blicken mitten in den Straßen der Hauptstadt wieder einmal eine ächt irische Scene dar, wie sie sonst nur das Land zu zeigen pflegt. Mir gegenüber saß eine alte Frau, Aepfel verkaufend, und behaglich ihre Cigarre schmauchend. Näher dem Hause machte ein Mann in Lumpen allerlei Kunststücke, unterstützt von seinem Affen. Ein regelmäßiger Kreis, vier bis fünf Mann hoch, war um ihn geschlossen, und bei jedem neuen Spaß ertönte lauter Jubel, mit einem solchen Demonstriren, Geschrei und Gestikuliren verbunden, daß man schon glaubte, Streit sey entstanden, und auf irgend Jemand würde es bald Prügel regnen. Das neue Angehen des Schauspiels brachte aber jedesmal wieder Todtenstille hervor.

Shillelagh, irische Kampfstöcke (Foto: Wikimedia/CC BY-SA 3.0)

Shillelagh, irische Kampfstöcke (Foto: Wikimedia/CC BY-SA 3.0)

Jetzt konnte indeß die Lebhafteste der Gesellschaft sich nicht länger mehr mit bloßem Zuschauen begnügen. Sie muß selbst agiren, und in unbezwinglicher Lustigkeit springt sie in den magischen Kreis, ergreift den erschrockenen Affen, und überbietet ihn in Possen, Sprüngen und Grimassen aller Art, die das verdoppelte Lachen und Jauchzen der erfreuten Menge belohnt. Die Darstellungs-Wuth wirkt aber ansteckend - mehrere gesellen sich zu der ersten Aktrice, die bisherige Ordnung fängt an, sich immer mehr in Wirrwarr zu verkehren, der Künstler, besorgt für die Sicherheit seines Affen, oder um ihn nicht durch übles Beispiel verführen zu lassen, bricht schleunigst auf; seine retirade gleicht schon einer übereilten Flucht, der ganze Haufe stürzt ihm schreiend nach, jeder will der erste hinter ihm seyn, Einige schimpfen, und verschiedene Shileilas (…) werden sichtbar, Andere nehmen die Partei des fliehenden Künstlers, dieser entwischt indessen, und ehe man sich's versieht, endet die Verfolgung in einem allgemeinen Gefecht der Verfolger.«

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02. November 1622

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02. November 1622

Christian II. von Anhalt-Bernburg

» ♄ Den 2 Novemb. Dieweil ich vernommen, daß der Kaiser Zu Welß etliche Tage verharren wirdt, habe ich mich mit beyden Junckern Hans Ernst Börsteln und Herman Christian Stammern, Zwey Edelknaben und Zwey Lackayen auf die Donau gesetzt in willens nacher Lintz Zu fahren, und von dannen Zu lande auf Welß Zu reiten, mein Zeug zu Regenspurg gelaßen.

Donaustauf (Merian, 1644)

Donaustauf (Merian, 1644)

Von Regenspurg nach Donaustauffen, eine Festung dem Bayer fürsten Zustendig, sonst viel lustige Dörffer und flecken. Uff 2 Meilen von Regenspurg hat der Schiffmann daß eine Ruder zerbrochen, indem er durch Ungeschicklichkeit anß land gestoßen, Zu Donaustauffen eine Brücke.

Wert, dem Bischoff zu Regenspurg, um Schloß Werth herum giebt es viel Krümme an der Donau.

Straubing (Merian, 1644)

Straubing (Merian, 1644)

Straubingen, hatt eine Regierung, wir haben alda Zu Nacht gegeßen, und seind darnach weiter gefahren, Deckendorff, Felßhoffen, beide Städte mit Brücken, wo eine Brücke ist, da ist auch ein Zoll oder Maut. Weil es sehr finster und der Schiffmann die Brücke bei Felßhoffen nicht gesehen weren wir schier im fortfahren, wo es Gott nicht verhütet, in groß Unglück gerathen.«

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01. November 1787

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01. November 1787

Johann Wolfgang von Goethe

»Ja, ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt! Wenn ich sie in guter Begleitung, angeführt von einem recht verständigen Manne, vor funfzehn Jahren gesehen hätte, wollte ich mich glücklich preisen. Sollte ich sie aber allein, mit eignen Augen sehen und besuchen, so ist es gut, daß mir diese Freude so spät zuteil ward.

Tempel des Portunus, Korkmodell von Chichi, ausgestellt im Herzoglichen Museum Gotha (Foto: Michael Sander/CC BY-SA 3.0)

Tempel des Portunus, Korkmodell von Chichi, ausgestellt im Herzoglichen Museum Gotha (Foto: Michael Sander/CC BY-SA 3.0)

Über das Tiroler Gebirg bin ich gleichsam weggezogen. Verona, Vicenz, Padua, Venedig habe ich gut, Ferrara, Cento, Bologna flüchtig und Florenz kaum gesehen. Die Begierde, nach Rom zu kommen, war so groß, wuchs so sehr mit jedem Augenblicke, daß kein Bleiben mehr war, und ich mich nur drei Stunden in Florenz aufhielt. Nun bin ich hier und ruhig und, wie es scheint, auf mein ganzes Leben beruhigt. Denn es geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, das man teilweise in- und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend seh' ich nun lebendig; die ersten Kupferbilder, deren ich mich erinnere (mein Vater hatte die Prospekte von Rom auf einem Vorsaale aufgehängt), seh' ich nun in Wahrheit, und alles, was ich in Gemälden und Zeichnungen, Kupfern und Holzschnitten, in Gips und Kork schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir; wohin ich gehe, finde ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt; es ist alles, wie ich mir's dachte, und alles neu. Ebenso kann ich von meinen Beobachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, daß sie für neu gelten können.«

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31. Oktober 1776

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31. Oktober 1776

»Sonst fiel hier nicht merkwürdiges vor, bis am 31sten, des Abends, wo sich ein äußerst starker Sturmwind aus Süd=Osten erhub, welcher drey Tage anhielt, so daß unterdesen zwischen dem Schiffe und dem Ufer keine Gemeinschaft statt fand. Die Resolution war das einige Schiff in der ganzen Bay, so unter dem Winde lag, und die Anker nicht schleppte. Wir aber am Ufer erfuhren seine Gewalt desto mehr. Unsere Gezelte und unsere Sternwarte giengen in Stücken, und nur mit harter Mühe wurde der Quadrant gerettet, dessen Verlust ein für uns unersetzlicher Schade gewesen wäre.«

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30. Oktober 1720

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30. Oktober 1720

»Den vergangen sontag, wie ich zu Paris war undt eben zu madame d'Orleans ging, brachte man mir 3 von Ewern lieb schreiben auff einmahl mitt den 2 kupfferstücken vom czaar undt printz Eugenius, wofor ich Eüch dehr dancke, liebe Louise! Daß vom czaar gleicht woll, aber in alt; wie er hir war, sahe er viel jünger auß. Printz Eugene hette ich woll in dem contrefait nicht gekandt, den wie er hir war, hatte er eine kurtze auffgestutzte naß, undt in dem kupfferstück macht man ihm eine lange spitze naß; er hatte die naß so auffgestutzt, daß er den mundt immer offen hatte, undt die 2 große forderste zähn sahe man gantz bloß. Ich kene ihn gar woll, habe ihn offt geplagt, wie er noch ein kindt; da hatt man gewolt, daß er geistlich werden solte, war wie ein abbé gekleydt. Ich habe ihn doch allezeit versichert, daß er es nicht bleiben würde, wie auch geschehen. Wie er den geistlichen habit quittierte, hießen ihn die jungen leütte nur madame Simone undt madame Cansiene; den man pretenirte, daß er oft bei den jungen leütten die dame agirte. Da segt ihr woll, liebe Louise, daß ich den prince Eugene gar woll kene; ich habe seine gantze familie gekandt, herr vatter, fraw mutter, brüder, schwestern, oncle und tanten, ist mir also gantz und gar nicht unbekandt, aber eine lange spitze naß kan er ohnmöglich bekomen haben.«

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29. Oktober 1922

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29. Oktober 1922

»Die Faschisten haben durch einen Staatsstreich die Gewalt an sich gerissen in Italien. Wenn sie sie behalten, so ist das ein geschichtliches Ereignis, das nicht bloß für Italien, sondern auch für ganz Europa unabsehbare Folgen haben kann. Der erste Zug im siegreichen Vormarsch der Gegenrevolution. Bisher haben die gegenrevolutionären Regierungen, zum Beispiel in Frankreich, wenigstens noch so getan, als ob sie demokratisch und friedlich seien. Hier kommt ganz offen eine antidemokratische, imperialistische Regierungsform wieder zur Macht. In einem gewissen Sinne kann man Mussolinis Staatsstreich mit dem Lenins im Oktober 1917 vergleichen, natürlich als Gegenbild. Vielleicht leitet er eine Periode neuer europäischer Wirren und Kriege ein. Was soll zum Beispiel Mussolinis Italien im Völkerbunde, dessen Grundsätze (Selbstbestimmungsrecht, Frieden usw.) er verwirft?«

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28. Oktober 1815

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28. Oktober 1815

Wilhelm von Humboldt

»Ich habe Deinen lieben Brief vom 19. bekommen, geliebtes Herz. Der Erbprinz, dessen Äußerungen über Deutschland Du sehr recht hast, hübsch zu finden, wird vielleicht mit diesem Briefe schon selbt bei Dir sein. Seine Gesinnung ist immer tadellos, aber die Jugend gab ihm ehemals eine liebenwürdige Lebendigkeit, die jetzt fast auf die Gestikultion eingeschränkt ist.

Allerdings ist es eine trostlose Idee, daß es kein Deutschland geben sollte. Du hast aber sehr recht, zu sagen, daß es ein unsichtbares gibt, und ich glaube wie Du, daß es in kurzem ans Licht treten wird, aber schwerlich auf dem Wege, den man ihm vorbereitet. (…)

Friedrich Wilhelm von Schadow: Karl August von Hardenberg (1812)

Friedrich Wilhelm von Schadow: Karl August von Hardenberg (1812)

Der Verderb liegt in Deutschland und in allen Deutsch redenden Ländern in der undeutschen Art der höchsten Klassen, in dem furchtbaren und elenden Wesen, das man Gesellschaft nennt, in der schlaffen, nicht einmal sich wahrhaft auf Genuß verstehenden Üppigkeit der Lebensart, in der gräßlichen Leere des Kopfes und des Herzens. In Preußen hat das Unglück mehr Volksmäßigkeit und Einfachheit hervorgebracht, und ein besonders glückliches Schicksal gemacht, daß der König und seine Familie denselben Sinn hat. Dazu kommt der Staatskanzler, der darin wie in allen Eigenschaften, die das Wesen des Charakters treffen, untadelhaft ist. Allein darum ist auch Preußen, wie das gute und böse Prinzip, in beständigem Streit mit den übrigen Höfen, und kommt wieder (nämlich als Regierung) in Streit mit seinem eigenen Volk, weil es in jenem Streit gar nicht anders kann als oft oder wenigstens manchmal nachzugeben.«

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27. Oktober 1675

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27. Oktober 1675

Dietrich Sigismund von Buch

»Den 27sten gegen 8 Uhr begann der Feind scharf zu schießen, und zwar schärfer als an den vergangenen Tagen, was uns in der Meinung bestärkte, daß sie Pulver und Kanoniere durch die Schiffe von gestern erhalten hatten, sie thaten uns indessen keinen großen Schaden.

Stadt und Schloss Wolgast im Jahr 1629 (Theatrum Europeum)

Stadt und Schloss Wolgast im Jahr 1629 (Theatrum Europeum)

Nachtische ging S. K. D., eine Batterie zu besichtigen, welche man in einem Hause anlegte, hier sahen wir auch die Probe einer Erfindung, Steine zu werfen, welches indessen keinen großen Effect machte.

Der Feind fuhr immer fort, stark zu kanoniren, that uns indeß keinen sonderlichen Schaden, er tödtete 2 und verwundete 2 Mann auf der Kaiserlichen Batterie, auf der unseren hatten wir nur 2 Verwundete. Von den Schiffen, welche gestern ankamen, sind 3 nach Anclam gefahren, und zwei beim Schlosse hinter der Stallung geblieben.«

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26. Oktober 1850

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26. Oktober 1850

»Gestern war ich mit meinen freundlichen Wirthsleuten drüben auf dem Territorium der Indianer, in der Nähe des Fort Snelling, eines festen Platzes, den die Amerikaner hier angelegt und mit Militär, Fußvolk wie Reiterei, besetzt haben, um die Indianer in Respect zu erhalten. (…)

John Caspar Wild: Fort Snelling (1844)

John Caspar Wild: Fort Snelling (1844)

Ich war sehr neugierig, das Innere dieser Zelte oder Tepees zu sehen, deren Rauch und Feuer ich schon so oft gesehen hatte. Und als ich bald darauf, nachdem ich das indianische Territorium betreten hatte, vier recht ansehnliche Tepees zu Gesicht bekam, eilte ich, dieselben zu besuchen. Der Gouverneur Ramsay und ein Dolmetscher, der seiner Wohnung nicht weit davon hatte, begleiteten mich. Ich richtete meine Schritte nach dem größten von diesen Zelten. Drei magere Hunde waren mit Stricken an den Zeltstangen festgebunden. (Die Indianer verzehren ihre Hunde, wenn ihnen andere Nahrung fehlt.) Wir öffneten das Leder, welches die Thür vorstellen sollte. Ich hatte erwartet, Schmutz und Armuth darin zu finden, und war nicht wenig überrascht, eine Art von orientalischem, wiewol grobem Luxus und Wohlbehagen zu sehen.

Es brannte ein Feuer mitten auf dem Fußboden des Zeltes, welches sehr geräumig und mit Büffelhäuten bedeckt war. Am Feuer saßen zwei Männer, mit Strichen und Figuren im Gesicht bemalt, und schnitten Pfeifen aus einer dunklen blutothen Steinart. Rings um die Wände des Zeltes saßen Frauen und Kinder auf Kissen, von denen mehre prächtig ausgenäht und auf weiße Filzdecken gelegt waren. Einige von den Frauen waren geschminkt, indem sie einen großen rothen Fleck auf jedem Backen und auch die Stirn roth bemalt hatten. Mit ihren lebhaften dunklen Augen und ihren zurückgestrichenen Haaren sahen sie, bei dem Schein der tanzenden Flammen des Feuers, recht hübsch und belebend aus. Zwei von ihnen machten mir Platz, um mich zwischen sie zu setzen. Die alten Frauen lachten und schwatzen und schienen sehr ungenirt zu sein.«

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25. Oktober 1919

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25. Oktober 1919

Erich Mühsam

»Generalreinigung des Körpers, der Wäsche, der Utensilien und der Zelle. Noch juckt mir die Haut, aber ich hoffe, die Parasiten mit ihren Eiern und Keimen werden hin sein. Bemerkenswert war die Haltung des Anstaltsarztes. Ich zeigte ihm das Betttuch, das man mir, nachdem ich als Ursache der Plage Läuse erkannt hatte, frisch aufgezogen hatte: die kalten Bauern ganzer Divisionen waren als Landkarte zölibatischer Sehnsüchte darauf abgezeichnet. Eine unglaubliche Sauerei. Der würdige Mann erklärte, man könne jetzt trotz allen Waschens solche Spuren nicht vertilgen, schwieg aber auf meine Frage, ob er sich etwa im Hotel auf solche Erklärung hin in ein derartiges Bett legen würde. Tags drauf hatte ich ein andres Laken: blitzsauber. Es ging also, obwohl man mir versichert hatte, die Wäsche sei extra ausgesucht worden, reinere sei nicht da. Der Arzt, auch einer, dem das Dekorum der Anstalt höher steht als die Gesundheit seiner Patienten, suchte mir nachträglich weiszumachen, daß er nur Stockflecken aber keine Sexualspuren gesehn habe. (...)

Graf Bernstorff (links) nach seiner Vernehmung durch den Untersuchungsausschuß ("Zeitbilder" vom 26.10.1919)

Graf Bernstorff (links) nach seiner Vernehmung durch den Untersuchungsausschuß ("Zeitbilder" vom 26.10.1919)

Inzwischen tagt in Berlin der parlamentarische Untersuchungsausschuß zur Feststellung von Kriegssünden. Regierungsbonzen und Unabhängige hocken in tiefen Überlegungen beisammen, ziehn Leuten wie Bernstorff die Würmer aus der Nase und glauben, die „Feinde“ werden diese Affenkomödie ernst nehmen und womöglich Deutschlands „größte Schmach“, die Auslieferung Wilhelms, Rupprechts, Ludendorffs (und wohl auch der kleinen Halunken wie von der Pfordten e tutti quanti) in der Erwartung abstellen, daß die herrliche Republik selbst Gerechtigkeit zu üben wissen wird. Währenddem wütet Noske, dieses Phänomen an Rohheit, Gewissenlosigkeit, Brutalität und Anmaßung, mit weißen Garden, Streikbrecherkolonnen, Zensurverboten, Verhaftungen und allem dem abenteuerlichsten Kosakenzarismus entlehnten Regierungsfolterwerkzeug wie ein Tobsüchtiger unter Betschwestern. Alle Welt blickt erstaunt, angeekelt und tief empört auf Deutschland. Das Volk aber betet und arbeitet und glaubt seinen korrupten Zeitungsschmierern.«

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24. Oktober 1828

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24. Oktober 1828

Hermann von Pückler-Muskau

»Gute, theure Freundin! Wenn man so lange ein halb wildes Leben geführt, kommt einem die Zahmheit der Stadt ganz sonderbar vor! ich kann mir jetzt beinah das Heimweh der Indianer erklären, von denen selbst die Gebildetesten doch am Ende in ihre Wälder wieder zurücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz?

Thomas Maybank: The Court of Faerie (1906)

Thomas Maybank: The Court of Faerie (1906)

Gestern Nachmittag verließ ich Cashel, und nahm in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit. So lange es Tag war, sahen wir gewiß an zwanzig verschiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der schönsten steht am Fuß eines isolirten Hügels, Killough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimische Pflanzen wachsen. Der Grund dieser Fruchtbarkeit ist, daß Killoughhill einst der Sommeraufenthalt der Feenkönigin war, deren Gärten hier prangten. Der überirdisch magnetisirte Boden behält daher noch immer einen Theil seiner wunderbaren Kräfte. Die erwähnte Ruine hat abermals einen jener räthselhaften, schmalen, runden Thürme ohne Oeffnung, die von fern einem (…) ungeheuren Königskegel gleichen. Bei einigen wenigen, sieht man zwar die Oeffnung einer Thüre, aber nicht unten, sondern in der Mitte. Kein romantischeres Schilderhaus hätte für die Wache des Feenhügels gewählt werden können. Das Wetter war außerordentlich mild und schön, und der Vollmond so lichtstrahlend, daß ich bequem in meinem Wagen lesen konnte. Demohngeachtet verschliefen wir einen guten Theil der Nacht.«

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22. Oktober 1748

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22. Oktober 1748

Johann Joseph von Khevenhüller-Metsch

»Den 22. ware das erste Appartement nach der Kindlbett und fienge die Kaiserin wiederumen an, die an selben Tägen gewöhnliche Audienzien - und zwar des Nachmittags vor den rosencrantz, welcher anjezo wieder um 6 Uhr gehalten wurde - zu ertheilen, worunter anheut auch obbemelter churpfältzischer Gesanter sich befande, welcher bein Austritt von mir, mandato imeratricis, eine mit Steineren garnirte, goldene Tabatière überkamme; gleichwie aber seines Principalen Patriotismus noch sehr schlecht anscheinet, so wurden auch die Praesenter für seinem Abgeordneten darnach ausgemessen.

"Favorita" Wien im17. Jahrhundert, später "Theresianische Ritterakademie"

"Favorita" Wien im17. Jahrhundert, später "Theresianische Ritterakademie"

Vormittag hatte I.M. die Kaiserin denen Knaben ex Theresiano die Stund gegeben, ihren, biß anhero der Kindlbett halber zuruckgeblibenen Glückwunsch zu dero allerhöchsten Nahmenstag abstatten zu könnn, worzu ich dann selbe hergebrachter Massen introducirte (…) Die Kaiserin, welcher ich kurtz vorhero die Liste der jeztigen Candidaten - mit denen sich der Numerus academicorum über die neuntzig erstrecken wird - überbracht, hat unß alle ganz gnädigst empfangen und entlassen, sonderlich aber ihrer kräfftigsten Manutenenz versicheret, ohne welcher wegen deren villen Beneideren und Antagonisten sich dises neue Institutum nicht lang souteniren würde. (…)

Heut in der Nacht starbe in Kindsnöthen und währender Operation (welche von dem Chirurgo sehr unglücklich verrrichtet worden) des Cammerherrn Graffen Camillo Colloredo Gemahlin, eine gebohrne v. Wolffsthall, im 40. Jahr ihres Alters.«

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