»Abendgesellschaft bei Tschitscherin in der Russischen Botschaft, Unter den Linden, zu deren Wiedereinweihung. Die von Nikolaus I. bestellten Säle strahlten für das Bolschewistenfest im hellsten Glanze. Tschitscherin empfing nach der traditionellen Art seine Gäste am Eingang des ersten Saales und wechselte mit jedem ein paar Worte. Mit mir sprach er über den Pazifismus, was nach unserem Renkontre in der Mittwochsgesellschaft und nachher nicht eines gewissen ironischen Humors ermangelte.

Florinski als junger kommunistischer Attaché, im tadellosen Frack mit dem Sowjetstern im Knopfloch, bemühte sich in der besten diplomatischen Manier um die Gäste. Diese waren ganz einseitig männlich, vielleicht wegen der Jahreszeit; nur wenige Frauen, einige in Wollkleidern, waren dazwischengesprenkelt. Auch der Anzug der Männer war sehr verschieden. Unser Auswärtiges Amt, Haniel, Maltzan, Schubert, Arends usw., strahlend mit der weißen Männerbrust im Frack; die Mehrzahl der Gäste in weniger festlichen Kostümen, vom Smoking bis zum Straßenanzug. Das Ganze machte trotz des Glanzes der kaiserlich dekorierten Säle mehr den Eindruck eines politischen Klubs mit leichtem Verschworeneneinschlag.

Dieser etwas ungewöhnliche Eindruck wurde dadurch verstärkt, daß sich Tschitscherin die Pagenjungen aus dem ›Esplanade‹ in ihren grünen Pagenuniformen zur Aushilfe mitgenommen hatte. Dazwischen irrte Rantzau, dessen Ernennung zum Botschafter in Moskau heute abend in der Zeitung steht, mit seinem aristokratisch blasierten, wie ein benutztes Taschentuch zerknitterten Gesicht herum, gespensterhaft an Gruppen herantretend und plötzlich mit einzelnen in Zwiegespräche sich vertiefend.«

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Georgi Wassiljewitsch Tschitscherin (Foto: Bundesarchiv/Wikimedia/CC BY-SA 3.0 de)

Georgi Wassiljewitsch Tschitscherin (Foto: Bundesarchiv/Wikimedia/CC BY-SA 3.0 de)

Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau (Foto: DHM/Wikimedia)

Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau (Foto: DHM/Wikimedia)