J.H. Hintze: Blick vom Kreuzberg (1829)

J.H. Hintze: Blick vom Kreuzberg (1829)

»Eine abscheuliche Migraine, beste, liebste Schnucke, quält mich, und wenn ich nicht die heut abgehende Post benutzen müßte, so hätte ich nicht geschrieben, da es mir sehr schwer fällt. Während der Reise hierher war ich ganz melancholisch, besonders über den Zustand unserer Affairen, und unser daraus folgendes abhängiges Verhältnis von Dehn.

Als ich in Berlin ankam, war nirgends Unterkommen zu finden, und ich logire noch jetzt im kleinen Kabinet der Madame Obermann, die heute an mir medizinirt. Dein Herr Vater hat mich gut aufgenommen, und wieder täglich eingeladen. (...)

Büste der Gräfin Jeanette Caroline von Alopäus (Foto: Dr. Bernd Gross/CC BY-SA 3.0)

Büste der Gräfin Jeanette Caroline von Alopäus (Foto: Dr. Bernd Gross/CC BY-SA 3.0)

Um 10 Uhr Abends. Meine liebe Schnucke, es war mir unmöglich heute früh weiterzuschreiben, da meine Migraine einen solchen Grad erreichte, daß ich keiner Bewegung fähig war. Auch jetzt noch bin ich sehr unwohl, werde mich aber gewiß morgen nach der heutigen gezwungenen Diät recht wohl befinden. (...) Die gute Obermann hat mich aber ganz zu ihrem Prosyleten gemacht, und ich werde bestimmt den künftigen Sommer ihre Blutreinigungstisane trinken, und ihre Portermedizin nehmen. Ich finde, daß sie zwar etwas viel, aber gescheuter spricht als die meisten Aerzte. Bei dem König und den Prinzen habe ich mich gemeldet, und den Adjutanten der letzteren Visite gemacht. Morgen erwarte ich Antwort. Mit den übrigen Visiten bin ich aber sehr zurück. Bei Frau von Alopäus bin ich eine Stunde gewesen. Sie ist wieder sehr hübsch geworden, hat aber durchaus ihren Einfluß auf mich verloren, obgleich sie ziemlich kokettirt. (...)

Indem ich Dir schreibe, fängt mein Kopfschmerz wieder an sich zu vermehren. Ich höre also auf für heute und wünsche Dir von Herzen eine recht gute Nacht, und einen angenehmen Traum von Deinem treuen Lou.«

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