»Gestern ist im Seidelprozeß das Urteil gesprochen worden. Doppelte Todesstrafe gegen Seidel und Schickelhofer, einfache Todesstrafe gegen 4 weitere Angeklagte, 3 Freisprüche und gegen die übrigen je 15 Jahre Zuchthaus. Nie ist ein Tendenzprozeß tendenziöser durchgeführt worden als dieser. Ganz vom Staatsanwalt (Hoffmann heißt die Kanaille) abgesehn, der wahrhaft sadistisch sein Amt versah, ist der Verhandlungsleiter, ein Oberlandesgerichtsrat Aull, der auch den Vorsitz im Axelrodprozeß führte, nur von Rachsucht und Haß gegen die Angeklagten erfüllt gewesen und hat sie, statt unvoreingenommen über ihre Schuld oder Nichtschuld Beweis zu erheben, von Anfang an als überführt behandelt. Die Ladung von Entlastungszeugen wurde grundsätzlich abgelehnt, die Presse und das Gericht leisteten gemeinsame Hetze. Theodor Liebknechts Versuche, die psychologischen Zusammenhänge zwischen der Erschießung der sogenannten Geiseln und der vorhergehenden Ermordung von Rotgardisten, roten Sanitätern und revolutionären Arbeitern vor Augen zu führen, scheiterten durch die infame Prozeßführung. (...)
Ich selbst bin allmählich, sehr im Gegensatz zu meiner Vergangenheit, soweit, daß ich die grundsätzliche Abkehr vom Blutvergießen nicht mehr verantworten kann. Die Reaktion hat uns gezeigt, wie gearbeitet werden muß, um die Gegner klein zu kriegen. Wir sind durch unsre Menschlichkeit verantwortlich geworden an all dem Blut und Jammer in Baiern. Wenn Noske sich jetzt zu der Anschauung bekannt hat: er wolle immer wieder das Leben von ein paar Tausend Tollköpfen opfern, um Hunderttausenden von Bürgern die Ruhe zu sichern, so müssen wir sagen: besser das Leben einiger tausend Konterrevolutionäre aufs Spiel setzen als Hunderttausende Proletarier umbringen lassen.«