»Jeder Tag bringt neue Schikanen. Mein Manuskript habe ich zurückerhalten, bis auf die letzten 3 Seiten, die einfach zu den Akten gelegt sind. Mein Geld wird mir weiterhin vorenthalten. Auf dem Gang wird das Fenster jetzt mit einem feinen Drahtnetz versperrt, vielleicht werden unsre Zellen noch ähnlich verziert. Den Herren genügt die einfache Vergitterung nicht allein. Heut kam die Mitteilung, daß uns von jetzt ab auch nachts das Licht von außen abgedreht werden wird. Bis jetzt blendeten wir von 11 Uhr ab, wenn die Türen verriegelt werden, einfach die Fenster ab. Es war uns zugesichert worden, daß unserm Bedürfnis, nachher noch zu lesen oder zu schreiben, einsichtsvoll Rechnung getragen werden sollte. Das ist jetzt auch vorbei. Wenn wir jetzt nachts irgendein Bedürfnis haben, können wir in der versperrten Zelle nicht mal mehr Licht machen. Denn Kerzen gibt es längst nicht mehr. Der Anwalt hat mich leider ganz im Stich gelassen. (...)
Man hat Furcht vor dem 7. und 9. November und will die Revolutionäre an Reisen verhindern, oder aber einen Putsch von rechts vorbereiten. (...)
Ein Zufallsereignis kann genügen, um Deutschland vollends in Aufruhr zu jagen, da die ökonomische Lage hinlänglich vorbereitet ist. Das Attentat auf Haase kann vielleicht in seinen Folgen das auslösende Moment sein. Ob wirklich sein Mörder nur den Rechtsanwalt, nicht den Politiker treffen wollte, ist mir sehr zweifelhaft. Der Fall kann möglicherweise so ähnlich liegen wie seinerzeit bei der Ermordung der Kaiserin Elisabeth durch den Anarchisten Luccheni in Genf, den mir nahe Bekannte des Mörders später erklärt haben. Luccheni war Anarchist, aber ein ziemlich unklarer Kopf, allen Kameraden sehr unsympathisch und stand im Verdacht der Spitzelei. An der Ermordung der Frau waren ganz andre Kreise als anarchistische, vor allen nämlich klerikale Kreise interessiert. So wird der arme dumme Teufel von Jesuiten auf die Gelegenheit aufmerksam gemacht sein, daß er sich da als richtiger Anarchist beweisen kann, und Luccheni tat’s, um sich vor seinen Genossen zu rechtfertigen. So wäre es denkbar, daß der verärgerte Voß von Konservativen auf Haase gehetzt wurde, die umso eher die Hände in Unschuld waschen können, als der Täter politisch radikale Tendenzen zu verfolgen vorgibt. Aber daß man zuerst aus der Verwundung eine harmlose Geschichte zu machen versuchte, die sicher in 8 Tagen kuriert wäre, beweist doch, daß man vertuschen wollte. Nun ist das Bein amputiert und der Zustand Haases ist höchst bedrohlich. Stirbt er, so kann sein Tod Anlaß zu Aufregung grade bei den Unabhängigen geben, die dadurch leichter zu gemeinschaftlicher Aktion mit den Kommunisten gelangen könnten. Sicher ist, daß die Luft geladen ist mit Gewitter und Sturm.«