»Früh hier an, um Gordon Craig zu besuchen, den ich seit 1914 nicht gesehen hatte. Er kam mir nur wenig gealtert mit seinem inzwischen fast erwachsenen Sohn auf der Landstraße entgegen, die nach Zoagli führt; wir musterten uns gegenseitig und gingen dann zurück in sein Häuschen, das steil über dem Meere, nur durch die Landstraße und Ölbäume davon getrennt, liegt, sehr einfach ist, aber ganz in Blumen drinsteckt. Im Inneren, in das man über eine ganz in Blumen gebettete kleine Freitreppe gelangt, hat er die Wände zeltartig mit grauem Segeltuch behängt und überall Bücherschränke aus blankem Kiefernholz, die fast ausschließlich Werke über das Theater, Marionetten, Ballett, eine wohl einzige Fachbibliothek, die Trümmer seiner Theaterschule in Florenz, enthalten. In ihrer hellen Kahlheit und fast religiösen Konzentration auf einen einzigen Lebensinhalt wirken diese Zimmer wie Klosterzellen. Allerdings werde ich doch den Eindruck nicht los, daß dieser Zweck in dieser Zeit etwas fast Kindliches hat. Es blieb für mich wie in der Puppenstube bei Kindern. Namentlich, als plötzlich die Mrs. Craig und der Sohn Teddy ganz blutrünstige Faschistenansichten äußerten. (...)
Er äußerte sein Bedauern, daß es nie zwischen ihm und Reinhardt zu einer Zusammenarbeit gekommen sei; Reinhardt sei doch, gerade weil er so anders sei wie Craig selbst, weil er ihn ergänze, der einzige, mit dem er hätte arbeiten können. Stanislawskij, überhaupt die Russen und ebenso die Amerikaner seien unmöglich. ›I don't want to have anything to do with Russians or Americans; I cannot abide them (ich kann sie nicht ausstehen).‹ Reinhardt habe den praktischen, harten Sinn, der ihm fehle. Im übrigen vertraue er noch immer darauf, daß ihm einmal ein Theaterunternehmen anvertraut werde; aber bis dahin müsse er gestrandet hier leben, da er hier mit den zweihundertfünfzig Pfund jährlich, die er habe, mit Frau und Kindern auskomme, in London dagegen mit der gleichen Summe keine sechs Wochen reichen würde. Sie hätten sogar eine Reise durch sieben italienische Städte im vorigen Jahr zu vieren gemacht, wobei das Problem gewesen sei, die achttausend Lire zusammenzusparen, die sie dazu brauchten, ohne hier in Schwierigkeiten zu geraten. Die Kinder wachsen wild, ohne Schule, auf. (...)
Es ist fast tragisch, diesen zweifellos genialen Mann, von dessen Visionen und Ideen seit zwanzig Jahren das Theater aller Länder, von Rußland über Deutschland und Frankreich bis Amerika, lebt, ohne praktische Tätigkeit wie einen Verbannten auf einer Insel zu sehen, während Festspielhäuser, internationale Theaterausstellungen, Umwälzungen des dramatischen Schaffens aus seinem Kapital heraus unternommen werden. Er äußerte zum Schluß: er glaube überhaupt nicht an die nordischen Länder in der Kunst. Wenn irgendwo etwas kommen werde, so werde es in Italien sein. Hier sei im Volk noch das Material für Kunst (Theaterkunst): der Schauspieler und das Publikum, vorhanden, das unmittelbare, naive Können und Genießen. Im Norden sei alles Künstelei und Kritik. Selbst die Russen seien auf der Bühne nur ›geschickte Affen‹ (clever monkeys). Hinter dem Blendwerk, das sie uns vormachten, stehe nichts Echtes, während bei den Italienern trotz ihrer Geschmacklosigkeit gerade das Echte, der Stoff großer Kunst, vorhanden sei.«