Erich Mühsam

»Gepackte Körbe und Schachteln, wildes Durcheinander in allen Zellen – soweit sie noch Inwohner beherbergen. Das sind noch 18. Davon gehn 11 morgen früh weg, und dann am Samstag geht der letzte Transport weg, zu dem auch ich gehöre, in die „Festungshaftanstalt“ Ansbach. Am Montag früh verließen uns die ersten 10 Genossen. Sie kamen nach Lichtenau. Man hatte die den Herren als Harmloseste scheinenden zusammengestellt. Von meinen näheren Kameraden waren Hohenester und Oblinger dabei, liebe Kerle von meiner Münchner Leibgarde. Dann folgte gestern früh der zweite Transport, der nach Eichstätt ging und aus Großkalibrigen zusammengesetzt war: Niekisch, Klingelhöfer, Knieriemen, Bedacht, Daudistl, sonderbarerweise auch einer der Allerschwersten: Sauber, ferner Hartig, Wenisch, und Ernst Ringelmann. Wie schwer mir der Abschied von dem Jungen geworden ist, kann ich nicht beschreiben. Mein Ehrgeiz war, grade diesen Menschen in persönlicher dauernder Einwirkung zu einem, vielleicht zu dem Revolutionär zu machen, auf den das Land wartet, den es braucht, der es retten soll. Ernst hat alles Zeug, das zu werden, vor allem Begeisterung, Hingabe, Charakter. Ich lese eben wieder Bakunins Lebensgeschichte. Da ist das Vorbild, dem auch ich nachstrebe mit aller Wucht meines Wollens. Ein Psychiater würde mich jetzt wohl als Monomanen bezeichnen. Ich kann und mag nichts andres mehr im Herzen und im Hirn haben als Revolution. Wie weit liegt alle Literatur, aller Theaterquark hinter mir! Revolution ist das Einzige, was ich denke und fühle – und Vorbereitung dazu im Geiste, Einwirkung auf die Genossen zur Vorbereitung dessen, was beim nächsten Mal geschehn muß, welche Fehler wir vermeiden, welche Lehren wir aus der verlorenen Schlacht zu ziehn haben. (...)

Die beiden nächsten Tage werden wir letzten 7 nun ganz allein durch die öden Hallen des Zellengefängnisses irren: Hagemeister, Waibel, Olschewski, ich, Förster, (leider) Westrich und Gnad. Daß wir vier ersten in Ansbach zusammen sein werden, ist uns ein großer Trost. Auch Förster ist ein tüchtiger Kerl. Aber Westrich ist ein reicher Bourgeois, der als Korpssoldatenrat ohne viel eignes Zutun zu seinen sechs Jahren gekommen ist. Wir lieben ihn alle nicht, aber man muß sich abfinden. Ob auch Gnad mit uns Ebrach verlassen wird, steht noch nicht fest. Man scheint eine unglaubliche Niederträchtigkeit gegen ihn vorzuhaben. Der jetzt 30jährige Gnad war vor 10 Jahren mein Hörer in der Gruppe Tat. Das war ein Treffpunkt vieler Entgleister und Verzweifelter, Zuchthäusler, Arbeitsscheuer etc., der sogenannten „Elemente“, wie die moralischen Revolutionäre sich ausdrücken, in Wahrheit solche, die sich in dem wahnsinnigen ekligen Betrieb der kapitalistischen „Ordnung“ nicht zurechtfinden. (...)

A. Weisgerber: Margarete Weisgerber (um 1910/Wikipedia/CC BY-SA 3.0)

A. Weisgerber: Margarete Weisgerber (um 1910/Wikipedia/CC BY-SA 3.0)

Vielleicht komme ich morgen zu weiterer Eintragung. Heut hab ich nach einem kleinen Gelage, das ich Grete Weisgerber danke, etwas Brummschädel. Die hat mir nämlich drei Flaschen Wein gesandt und etliche Zigarren (wieviel liebes Gedenken offenbart sich jetzt überhaupt in gelegentlichen Sendungen) geschickt, und den Wein haben gestern Olschewski und ich ganz allein und hintereinander weggetrunken. Der kleine Schwips nach 4½ Monaten Askese hat mich – trotz der geringen Katerwirkung – wirklich aufgefrischt. Aber wann werde ich meine Freiheit mit Wein begießen dürfen? Hoffentlich nicht, ehe sie nicht auch die Freiheit des Volks ist.«

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