»Obgleich peinlich müde, konnte ich gestern Abend doch nicht einschlafen, und frug daher beim Wirth an: ob er irgend ein Buch besitze? Man brachte mir eine alte englische Übersetzung von Werther's Leiden. Du weißt wie hoch und innig ich unsern Dichterfürsten verehre, und wirst mir es daher kaum glauben wollen, wenn ich Dir sage: daß ich dieses berühmte Buch nie gelesen. - Der Grund möchte auch Vielen sehr kindisch vorkommen. Als ich es nämlich zuerst in die Hände bekam, erweckte mir die Stelle, gleich am Anfang, wo Charlotte dem Buben "die Rotznase wischt" einen solchen Eckel, daß ich nicht weiter lesen konnte, und dieser unangenehme Eindruck blieb mir immer gegenwärtig. Diesmal machte ich mich jedoch ernstlich an die Lectüre, und fand es dabei seltsam, Werther zum erstenmal, in fremder Sprache, mitten in den wüstesten Gebürgen von Irland zu lesen. Ich konnte aber auch hier, aufrichtig gestanden, den veralteten Leiden keinen rechten Geschmack mehr abgewinnen - das viele Butterbrod, die kleinstädtischen, nicht mehr üblichen Sitten und selbst die, (gleich den zu Gassenhausern herabgesunkenen schönen Mozartschen Melodien) jetzt auch Gemeinplätze gewordene Ideen, die damals neu waren - endlich die unwillkürliche Erinnerung an Potiers köstliche - Parodie - es war mir nicht möglich, in die rechte Communionsstimmung, wie Hr. v. Frömmel sagt, hinein zu kommen.«