21. September 1922

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21. September 1922

Harry Graf Kessler

»Früh hier an, um Gordon Craig zu besuchen, den ich seit 1914 nicht gesehen hatte. Er kam mir nur wenig gealtert mit seinem inzwischen fast erwachsenen Sohn auf der Landstraße entgegen, die nach Zoagli führt; wir musterten uns gegenseitig und gingen dann zurück in sein Häuschen, das steil über dem Meere, nur durch die Landstraße und Ölbäume davon getrennt, liegt, sehr einfach ist, aber ganz in Blumen drinsteckt. Im Inneren, in das man über eine ganz in Blumen gebettete kleine Freitreppe gelangt, hat er die Wände zeltartig mit grauem Segeltuch behängt und überall Bücherschränke aus blankem Kiefernholz, die fast ausschließlich Werke über das Theater, Marionetten, Ballett, eine wohl einzige Fachbibliothek, die Trümmer seiner Theaterschule in Florenz, enthalten. In ihrer hellen Kahlheit und fast religiösen Konzentration auf einen einzigen Lebensinhalt wirken diese Zimmer wie Klosterzellen. Allerdings werde ich doch den Eindruck nicht los, daß dieser Zweck in dieser Zeit etwas fast Kindliches hat. Es blieb für mich wie in der Puppenstube bei Kindern. Namentlich, als plötzlich die Mrs. Craig und der Sohn Teddy ganz blutrünstige Faschistenansichten äußerten. (...)

Edward Gordon Craig (um 1900)

Edward Gordon Craig (um 1900)

Edward Gordon Craig als Hamlet (1897)

Edward Gordon Craig als Hamlet (1897)

Er äußerte sein Bedauern, daß es nie zwischen ihm und Reinhardt zu einer Zusammenarbeit gekommen sei; Reinhardt sei doch, gerade weil er so anders sei wie Craig selbst, weil er ihn ergänze, der einzige, mit dem er hätte arbeiten können. Stanislawskij, überhaupt die Russen und ebenso die Amerikaner seien unmöglich. ›I don't want to have anything to do with Russians or Americans; I cannot abide them (ich kann sie nicht ausstehen).‹ Reinhardt habe den praktischen, harten Sinn, der ihm fehle. Im übrigen vertraue er noch immer darauf, daß ihm einmal ein Theaterunternehmen anvertraut werde; aber bis dahin müsse er gestrandet hier leben, da er hier mit den zweihundertfünfzig Pfund jährlich, die er habe, mit Frau und Kindern auskomme, in London dagegen mit der gleichen Summe keine sechs Wochen reichen würde. Sie hätten sogar eine Reise durch sieben italienische Städte im vorigen Jahr zu vieren gemacht, wobei das Problem gewesen sei, die achttausend Lire zusammenzusparen, die sie dazu brauchten, ohne hier in Schwierigkeiten zu geraten. Die Kinder wachsen wild, ohne Schule, auf. (...)

Es ist fast tragisch, diesen zweifellos genialen Mann, von dessen Visionen und Ideen seit zwanzig Jahren das Theater aller Länder, von Rußland über Deutschland und Frankreich bis Amerika, lebt, ohne praktische Tätigkeit wie einen Verbannten auf einer Insel zu sehen, während Festspielhäuser, internationale Theaterausstellungen, Umwälzungen des dramatischen Schaffens aus seinem Kapital heraus unternommen werden. Er äußerte zum Schluß: er glaube überhaupt nicht an die nordischen Länder in der Kunst. Wenn irgendwo etwas kommen werde, so werde es in Italien sein. Hier sei im Volk noch das Material für Kunst (Theaterkunst): der Schauspieler und das Publikum, vorhanden, das unmittelbare, naive Können und Genießen. Im Norden sei alles Künstelei und Kritik. Selbst die Russen seien auf der Bühne nur ›geschickte Affen‹ (clever monkeys). Hinter dem Blendwerk, das sie uns vormachten, stehe nichts Echtes, während bei den Italienern trotz ihrer Geschmacklosigkeit gerade das Echte, der Stoff großer Kunst, vorhanden sei.«

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20. September 1737

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20. September 1737

»Den 20. kam ein Officier im Lager an, den der Prinz von Hildburghausen aus Brood abgeschickt hatte, durch diesen berichtete er, seine Infanterie würde den 16den und die Cavallerie den 17den bey Brood eintreffen. Von diesem Officier erfuhren wir, daß der Obriste Paland einen Unteroffizier mit 12. Heyducken anbefohlen habe, über die Sau zu gehen, sich in dem, am Ufer dieses Flusses befindlichen Gehölze, zu verstecken, und die Bewegungen eines feindlichen Corps, so nach dem Tetzer zu marschirte, zu beobachten. Diese Heyducken waren aber so unvernünftig gewesen, und hatten auf die aus 100. Mann bestehende türkische Avantgarde Feuer gegeben, ohngeacht ihnen solches verboten worden. Hierauf hatte sie der Feind umringt; sie hatten sich zwar als Verzweifelte gewehrt, 15. Türken getödtet, und 6. verwundet: endlich aber war ihre Verwegenheit so bestraft worden, daß nur ein einziger davon gekommen, welcher von dem Verlust seiner Cameraden die Nachricht überbracht hatte.«

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19. September 1919

19. September 1919

Erich Mühsam

»Gestern ist im Seidelprozeß das Urteil gesprochen worden. Doppelte Todesstrafe gegen Seidel und Schickelhofer, einfache Todesstrafe gegen 4 weitere Angeklagte, 3 Freisprüche und gegen die übrigen je 15 Jahre Zuchthaus. Nie ist ein Tendenzprozeß tendenziöser durchgeführt worden als dieser. Ganz vom Staatsanwalt (Hoffmann heißt die Kanaille) abgesehn, der wahrhaft sadistisch sein Amt versah, ist der Verhandlungsleiter, ein Oberlandesgerichtsrat Aull, der auch den Vorsitz im Axelrodprozeß führte, nur von Rachsucht und Haß gegen die Angeklagten erfüllt gewesen und hat sie, statt unvoreingenommen über ihre Schuld oder Nichtschuld Beweis zu erheben, von Anfang an als überführt behandelt. Die Ladung von Entlastungszeugen wurde grundsätzlich abgelehnt, die Presse und das Gericht leisteten gemeinsame Hetze. Theodor Liebknechts Versuche, die psychologischen Zusammenhänge zwischen der Erschießung der sogenannten Geiseln und der vorhergehenden Ermordung von Rotgardisten, roten Sanitätern und revolutionären Arbeitern vor Augen zu führen, scheiterten durch die infame Prozeßführung. (...)

Wahlkampfplakat 1919, wohl von der Bayerischen Volkspartei, das das Ende der Münchner Räterepublik unter dem Motto "bei uns gibts koa` Anarchie!" thematisiert. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plakatsammlung)

Wahlkampfplakat 1919, wohl von der Bayerischen Volkspartei, das das Ende der Münchner Räterepublik unter dem Motto "bei uns gibts koa` Anarchie!" thematisiert. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plakatsammlung)

Ich selbst bin allmählich, sehr im Gegensatz zu meiner Vergangenheit, soweit, daß ich die grundsätzliche Abkehr vom Blutvergießen nicht mehr verantworten kann. Die Reaktion hat uns gezeigt, wie gearbeitet werden muß, um die Gegner klein zu kriegen. Wir sind durch unsre Menschlichkeit verantwortlich geworden an all dem Blut und Jammer in Baiern. Wenn Noske sich jetzt zu der Anschauung bekannt hat: er wolle immer wieder das Leben von ein paar Tausend Tollköpfen opfern, um Hunderttausenden von Bürgern die Ruhe zu sichern, so müssen wir sagen: besser das Leben einiger tausend Konterrevolutionäre aufs Spiel setzen als Hunderttausende Proletarier umbringen lassen.«

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18. September 1622

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18. September 1622

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17. September 1748

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17. September 1748

Johann Joseph von Khevenhüller-Metsch

»Mittags hatte ich mich bei meiner Schwester ansagen lassen. Unter dem Essen bekamme ich ein Billet von meiner Frauen, welche zu Schönbrunn gespeiset, worinnen mit selbe meldete, daß die Kaiserin einige Vorbotten bevorstehnder Entbindung zu spühren angefangen und dahero für gutt befunden worden, die auf morgen bestimmte, lezte Aderlaß noch heut vorzunehmen.

Bei solchen Umständen eillte ich sogleich nacher Schönbrunn und kamme noch vor den Rosencrantz an, fande aber, daß mann sich der Entbindung vor Mitternacht nicht vermuthete, wie dann die Kaiserin noch unter den ersten Seegen auf den kleinen Gang heraussen, nächst dero Anlegzimmer gestanden (...). Zun End des Rosencranzes gienge der Kaiser mit mir und noch ein paar Männern in Garten spatzieren und sagte uns, wie die Kaiserin zwar seit mittags einige Wehen empfindete, allein weillen sie immer auszusetzen pflegten, so würde ihrer Gewohnheit nach wohl schwärlich vor Mitternacht oder Anbruch des Tags etwas daraus werden.

Kaum aber waren wir eine kleine halbe Stund herumgegangen, als ein Cammerherr dahergeloffen kamme, um dem Kaiser in Nahmen derer in der Cammer befindlichen Frauen eillend herbeizuruffen; welcher dann auch sofort nebst unß mit starcken Schritten zuruckeilte. (...)

Mann sahe eine große Bestürtzung an der Princesse und einer andern aus der Cammer zur Capellen durchpassirten Dame, welche leztere mir nur dise paar Worte lachirte: nous avons un enfant foible, mithin ware alles in gröstem Allarme. Mann schaute sich einander an, ohne fast zu sprechen, und wolte niemand der erste sein, die sich vorzustellende üble Nachricht zu vernehmen (...), als mann mich zu den Kaiser holte.

Maria Carolina postum (oben) mit ihren früh verstorbenen Schwestern auf einem Wandgemälde von Martin van Meytens in Schloss Schönbrunn. (Ausschnitt) nach 1748

Maria Carolina postum (oben) mit ihren früh verstorbenen Schwestern auf einem Wandgemälde von Martin van Meytens in Schloss Schönbrunn. (Ausschnitt) nach 1748

Disen fand ich schreibend und - wie wohl nicht anderst möglich - mit sehr bestürtzten Gesicht; er sagte mir: vous irez à Hezendorff porter cette lettre à l'impératrice mère; und nachdeme er den Brieff gesigelt, fügte er noch mit wenigen bei: vous scaurez déjà ce qui est arrivé, j'ai seilement peur pour l'impératrice qui croit que l'enfant est mort sans batême, et jette de haut cris. (...)

Bei meiner Zuruckkunfft zu Schönbrunn ware mann von dem ersten Allarme schon in etwas zuruckgekommen und ware von der vorbeigangenen Catastrophe so villes bekannt worden, daß I.M. gegen halb 5 Uhr mit einer Ertzherzogin, jedoch insoweit unglücklich genesen seie, daß - weillen das Kind nicht wohl gewendet und zuerst mit denen Füsselen gekommen - die Hebamme es sofort nothgetauffet und selbes hierauf nach gar wenig Minuten (...) verschieden. Weillen die Kaiserin sich auch mehrers herbeigegeben und, Gottlob, bei ihro nicht die geringste Gefahr sonsten sich äußerete, fande sich der Calme nach und nach wiederumen ein.

Der Kaiser befahle sodann, daß mann wegen der Begräbnus nachschlagen und nach Befinden das behörige veranstalten solle (...). Anbei meldete unß der Kaiser, wie die Kaiserin kein Gala haben wolte, obzwar mein Schwager und ich aus der Ursach auf einen eintzigen Gala Tag (indeme sonsten bei glücklicher Entbindung auf drei Täge Gala angesagt zu werden pflegt) angetragen, damit doch die Entbindung selbsten - aus Rücksicht auf die höchste Kindlbettnerin und dero hohes Wohlsein - einigermaßen honoriret und das Vergnügen über diesen lezteren Umstand marquiret werde.

Das Unschicksammste hierbei ware, daß ungehindert keine Gala sein sollen, mann doch denen Dames befohlen, in Appartement Kleidern die erste drei Täge (wo die Hoff Dames par conséquent en robbes sein musten) zu erscheinen, worbei noch die Confusion unterloffen, daß mann theils Dames von reichen, und anderen von glatten Hoff Röcken gemeldet. Allein so gehet es immer, wann keine ordentlich und legale Etiquette ist, wie es leider an unseren Hoff dermahlen zugehet, wo ein jeder schaffen und hoffmeisteren will und, nach dem Sprichwort, niemand mehr weis, wer Koch noch Kellner seie.«

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16. September 1870

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16. September 1870

»Coulommiers. Armeebefehl auf Einschließung von Paris, nach Meaux zum Hauptquartier. Favre durch englische Vermittlung angemeldet, Bismarck stimmt zu, man müsse ihn hören, um ihn kennen zu lernen. Bayern, einem Ministercongreß nicht abgeneigt, hat zunächst dringend gebeten, Delbrück möge kommen. Gortschakow gegen die Abtretung des Elsaß. Napoleon ist erstaunt über die gute Behandlung in Wilhelmshöhe! Was mag er nur anders erwartet haben? (...) Boyen sagt, die Haltung des Publicums sei überall tactvoll gewesen, er habe unsere Landwehrwachen bewundert. Die Republik setzt sich fest, ohne Aufsehen zu machen, der Maire von Coulommiers sagt, schon durch Ollivier sei Napoleon's Stellung unhaltbar geworden. Isle de France ist ein herrliches Land, das Landvolk macht einen günstigen Eindruck, die Leute thun komische Fragen, befühlen meinen Stern.«

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15. September 1850

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15. September 1850

Fredrika Bremer

»Hier, an dem südöstlichen Ufer des Lake Michigan, sitzt jetzt deine Schwester, meine liebe Agathe, aber nicht auf dem sandigen Ufer, sondern in einer schönen Villa, im italienischen Stil erbaut, mit korinthischen Säulen, von schönen Bäumen und Blumen umgeben.

Auf dem Markt von Buffalo, mitten unter Pferden, Wagen und Menschen, handelnd, wandelnd, hierhin und dorthin reisend, unter Koffern und Gepäck aller Art, Gedränge und Hast, schied ich von meinen jungen Freunden, die mir lieb und theuer geworden waren, fast wie Geschwister. (...) Ich sah sie nicht mehr und wurde aus dem Gedränge auf dem Markte in ein Hôtel hinaufgeführt, von einem alten Ehrenmanne, unter dessen Schutz ich meine Reise fortsetzen sollte, von einem gewissen Judge Boed, der mich am Niagara aufgesucht hatte und mit einen Empfehlungsbrief von Mr. Ellesworth überbrachte. (...)

In dem Hôtel zu Buffalo wurde ich von einigen neuen Bekannten mit den alten langweiligen Fragen gequält: - "How do you like Amerika? - How do you like the States? Does Buffalo look according to your expectations?" - Auf diese letztere Frage antwortete ich, daß ich nichts von Buffalo "expected" habe.

Gegen Abend ging ich an Bord von "the Ocean", einem stattlichen Dreieckerdampfschiffe, das mich über den Lake Erie brachte, dessen Wellen oft recht stürmisch und gefährlich sind, gegenwärtig aber Najaden glichen, die im Sonnenschein spielen. (...) Ueber den Erie ziehen Auswanderer von allen Völkern, die jetzt ihre Hütten westlich von den großen Binnenseen aufschlagen. Aber für viele von ihnen wird der Erie ein Grab. Neulich gerieth auf dem Erie ein Schiff in Brand, voll von Auswanderern (meistens Deutsche), und Hunderte von diesen Armen Auswanderern fanden in den Wogen ihr Grab. Untern denjeniegen, welche todt aus dem Wasser gezogen wurden, befanden sich sieben oder acht Paare, die einander umfaßt hielten. (...) Der Steuermann stand am Steuerruder und steuerte das Schiff nach dem Lande zu, bis das Feuer seine Hände ergriff. Die Nachlässigkeit des Capitäns soll Schuld an diesem Unglücksfalle gewesen sein. Der Capitän selbst verlor sein Leben und nur dreißig bis vierzig Passagiere konnten sich retten.«

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14. September 1720

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14. September 1720

»Ich sehe, liebe Louise, daß Ihr den donner ebensowenig alß ich fürchtet. Man lernt in Heydelberg, sich ahn den donner zu gewohnen; den da donnersts offt genug. Ich weiß nicht mehr, wer es war, aber es fragt mich letztmahl einer, ob es zu meiner zeit so offt zu Heydelberg gedonnert hette, alß nun, daß ich den donner so wenig fürchte. Ich lachte und sagte: "Ich bin zu sehr ahn starcke wetter gewohnt, umb die hießige zu förchten, so gar nicht starck sein. Dabey ist woll nichts anderst zu thun, alß sich gott ergeben undt im übrigen ruhig sein undt sich selber nicht durch ohnmächtige ängsten zu plagen." Ich finde auch, daß es diß jahr viel offter gedonnert hatt, alß man in langen jahren gehört; vergangen jahr, da so eine abscheüliche hitz war, hatt es gar selten gedonnert, nur den tag, wie die duchesse de Berry starb, war ein zimblich starck wetter. Weiß nicht, ob man in jener welt auch stück löst, wen große herrn ahnkommen; glaube es nicht. (...)

Da bekomme ich eine böße zeittung, einen brieff von hertzog von Modene, so mir bericht, daß seine schwiger fraw dochter, die kinderblattern hatt. Daß nimbt mich nicht groß wundter; seyder sie von hir weg ist biß auff die stundt ihrer kranckheit, ist sie nie vor 5 uhr zu bett gangen, gantze nächte in der nachtlufft geblieben, so gar ungesundt in Ittalien sein solle, undt hatt auff die jetzige frantzosche mode tag undt nacht undt in allen stunden gefreßen; daß kan ja auff die länge kein gutt thun.«

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13. September 1815

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13. September 1815

»Die Sachen werden hier noch immer mit einer Schnelligkeit betrieben, von der man glauben sollte, daß sie in sehr kurzem zum Ziele, was ich hier nur das Ende nenne, führen müßte. Die Souveräne werden vom Kaiser Alexander gedrängt, weil es nicht anständig sein würde, daß sich hier die Kammern versammelten (sie kommen am 25. zusammen), wenn die Souveräne noch hier wären. Die Kammern aber versammeln sich, weil Ludwig XVIII. hier ist, und von diesem ersten falschen Schritt, den Wellington (unter uns) mit Pozzo di Borgo gemacht hat, stammt das meiste Übel. Metternich benimmt sich in dieser letzten Zeit noch ausgezeichnet schwach und doppelsinnig. Was auch herauskommen mag, so wird es ein halbes, schlecht angelegtes Werk sein, eine Art Waffenstillstand, von dem man kaum wird voraussehen können, wie lange er dauern wird. Der Kanzler hat noch getan und tut noch, was nur irgend möglich ist. Eine uns günstigere Richtung gibt er der auch auch gewiß, allein die Hauptsachen sind nicht zu ändern. Es ist mir sehr leid, auch aus Deinem Briefe wieder zu sehen, daß der Staatskanzler wirklich nicht geliebt ist. Das ist aber bloß den Umständen, den übertriebenen Erwartungen der immer frondierenden Menge und der Verblendung, in der man jetzt ist, zuzuschreiben. Ich bin daher auch überzeugt, daß es sich geben und besser werden wird, wenn er nach Berlin zurückkommt.«

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Louis-Philippe Crépin: Louis XVIII relevant la France (im Hintergrund Zar Alexander I., König Friedrich Wilhelm III., Kaiser Franz I. und König George III.)

Louis-Philippe Crépin: Louis XVIII relevant la France (im Hintergrund Zar Alexander I., König Friedrich Wilhelm III., Kaiser Franz I. und König George III.)

Thomas Lawrence: Fürst Klemens Wenzel von Metternich (1815)

Thomas Lawrence: Fürst Klemens Wenzel von Metternich (1815)

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12. September 1828

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12. September 1828

Hermann von Pückler-Muskau

»Gestern kehrten wir hierher zurück, mit Mühe uns von der schönen Afrikanerin losreißend, die uns indeß bald nachzukommen versprochen hat, und heute benutzte ich die Muße, um einen Spazierritt nach Castle Hacket zu machen, einen einzeln in der Gegend stehenden Berg, der, nach des Volkes Meinung, ein Lieblingsaufenthalt der Feen, the good people, wie man sie in Irland nennt, seyn soll. Kein Volk ist poetischer und mit reicherer Phantasie begabt. (...)

Castle Hacket (Foto: Mike Searle/CC BY-SA 2.0)

Castle Hacket (Foto: Mike Searle/CC BY-SA 2.0)

Den Heimweg entlang erzählte mir mein junger Begleiter unaufhörlich von Mistriß L., die er wie ich wohl sah, nicht ungestraft, wie die Mücke das Licht, so lange umspielt hatte. Nie sagte er, (...) nie hatte eine Frau ein besseres "temper". Dieses Wort ist, eben so wie gentle, unübersetzbar - nur eine Nation, die das Wort comfort erfinden konnte, war zugleich fähig, temper zu erdenken - denn temper ist in der That im Geistigen, was comfort im Materiellen. Es ist der behagliche Zustand der Seele, und das größte Glück, sowohl für die, welche es besitzen, als für die, welche es an Andern genießen. (...) Es ist ein ächt frommes, liebendes und heitres Prinzip, mild und kühlend wie ein wolkenloser Maitag. Mit gentleness im Charakter, comfort im Hause und temper in seiner Frau, ist die irdische Seligkeit eines Mannes erschöpft.«

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11. September 1919

11. September 1919

»Abschrift. „Erklärung. Seit fast 20 Jahren bekenne ich mich zu den Lehren und Forderungen des kommunistischen Anarchismus. Mein politischer Kampf galt, lange ehe an Weltkrieg und Weltrevolution zu denken war, der Vorbereitung der sozialen Revolution mit den Mitteln der direkten Aktion, wie sie besonders von Michael Bakunin gelehrt worden sind. Meine Gegnerschaft gegen den von Kautsky ausgedeuteten Marxismus richtet sich im Wesentlichen auf die Bekämpfung der parlamentarischen Betätigung des Proletariats, der opportunistischen Anbiederung an die kapitalistische Gesellschaft und des grundsatzlosen Paktierens mit der Bourgeoisie, die die Politik der Sozialdemokratie Jahrzehnte lang charakterisiert haben. (...)

Michail Alexandrowitsch Bakunin (Foto: Félix Nadar)

Michail Alexandrowitsch Bakunin (Foto: Félix Nadar)

Karl Kautsky (1884-1938)

Karl Kautsky (1884-1938)

Das Erlebnis der Revolution öffnete einem großen Teil der ausgebeuteten Klasse die Augen über die verfehlte Politik der Sozialdemokratie, deren Konsequenz sich in dem verräterischen Verhalten ihrer offiziellen Vertretung während des Krieges geoffenbart hatte. Die vorbildliche Leistung der Bolschewiki in Rußland und ihr in der Revolutionsgeschichte aller Zeiten beispielloser Erfolg gab denen Recht, die das Heil des Weltproletariats in der Übernahme der legislativen und exekutiven Gewalt in die Hände der werktätigen Massen selbst erblickten. (...)

Als sich in Deutschland die kommunistische Partei konstituierte, habe ich mich bemüht, in engster kameradschaftlicher Nachbarschaft mit ihr zu wirken, bin vielfach als Referent in ihren Versammlungen aufgetreten und habe ihr, ohne noch direkt für sie zu werben, in Vorträgen in und außerhalb Münchens tausende von Mitgliedern zugeführt. Selbst der Partei beizutreten, konnte ich mich, trotz der vollständigen Übereinstimmung in den Kampfprinzipien, bisher nicht entschließen, weil ich nie einer Partei angehört habe und die anarchistische Vergangenheit nicht verleugnen wollte. – Der Verlauf der Revolution, ihre zeitweise Niederwerfung durch die vereinigte Macht der militaristischen, kapitalistischen und sozialpatriotischen Konterrevolution hat mich zu einem andern Entschluß gebracht. – Ich vollziehe hiermit meinen Eintritt in die kommunistische Partei Deutschlands. (...)

Wir Anarchisten werden unsern Mann stellen, und der Zustrom an Kampf und Verfolgung gewöhnter Rebellen wird die Tatkraft der Partei befeuern und sie vor Verknöcherung und Verbonzung dauernd bewahren. – Es lebe die Weltrevolution! – Es lebe die dritte Internationale

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10. September 1622

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10. September 1622

» ♂ In des paraej commentario in apocalypsin gelesen, Item in des Lipsii constantia, sonsten repetitiones etc. An Fst Augustus geschrieben und ihm ein Schwein geschickt.

Die Zeitung continuiret gar starck, daß in letzter Schlacht hertzog Christian in einen Arm mit einer Mußketenkugel geschoßen worden und weil Ihme der kalte Brandt drein geschlagen, hette man Ihm den Arm ablösen müßen, daran er dan gestorben. Dürffte wol mutationes in diesen Saxischen Ländern gebähren. Es soll auch ein hertzog von Weymar geblieben sein.

Ich bin nachmittags auf das Vorwerck Berenrode gefahren die jungen fohlen alda Zu besehen. Von dannen bin ich ins holtz geritten, Zu sehen ob wir könten Rehe schießen, ist uns aber nichts Zum Schuß gekommen, wie wol wir ein hirsch ein Stück und einen Bähren gespüret.«

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09. September 1748

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09. September 1748

Johann Joseph von Khevenhüller-Metsch

»Den 9. kamme die Kaiserin Frau Mutter gegen 1 Uhr von Hezendorff herüber, unserer Frauen eine Visite zu geben, stige sogleich bei denen Garten Zimmern ab, allwo sämtliche junge Herrschafften nebst der allerdurchlauchtigsten Mama und der Princesse ihrer erwarteten und vei Annäherung des Wagens biß zur Portière vortratten und selbe allda empfiengen.

Ludwig XIV. lädt Molière zum "petit couvert" (Jean-Léon Gérôme/1863)

Ludwig XIV. lädt Molière zum "petit couvert" (Jean-Léon Gérôme/1863)

Die alte Frau muß wegen ihrer bösen Füße immer getragen werden, dahero mann auch eine Invention gemacht, daß mann sie nebst dem Tragsessel in die Berline hineinsezet und heraus nihmt. Die Visite dauerte etwann eine halbe Stund, worauf die Kaiserin à son petit couvert, wie sie es nunmehro immer zu thun pflegt, wir aber zu unserer Taffl mit der Princesse speisen giengen.«

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08. September 1807

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08. September 1807

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07. September 1815

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07. September 1815

Caroline von Humboldt

»Indem ich das Datum schreibe, bekomme ich Deine Nr. 21, mein teuerstes Herz. Adelheid und Gabrielle sind seit Dienstag früh in Tegel.

Schloss Tegel (zw. 1857 und 1883), Sammlung Duncker

Schloss Tegel (zw. 1857 und 1883), Sammlung Duncker

Es sind auch zwei Briefe von August an Adelheid mit dem Kurier gekommen, die ich ihr soeben mit dem Milchwagen hinausspediert habe. In diesen, hoffe ich, wird August ihr seine wahre Meinung über das Sein hier an den Tag geben, und den Rückklang werde ich bekommen, wenn ich Adelheid sehe, die ich Sonntag in Tegel abholen werde. Denn ich habe August deutlich meine Absicht gesagt, nach Paris zu gehen, wenn er zurückkäme und die Zügel des häuslichen Regiments übernähme. Daß er mir darauf noch nicht geantwortet, daß er, seitdem er diesen Brief haben muß, seiner Mutter dringend um ein Quartier zum 1. Oktober geschrieben, ist mir ein leiser Wink, daß dies Arrangement ihm nicht lieb ist. Was Du mir nun in Deinem eben heut empfangenen Brief sagst, war mir nicht ganz unerwartet. Doch ist es mir, ich kann es nicht leugnen, schmerzlich. Das schönste und vollständigst Sein in einem Menschen ist, wenn er die Bedürfnisse seines Herzens mit dem Leben in eine Harmonie zu bringen vermag. (...) Was heißt das eigentlich, er müsse die Zeit so benutzen, damit er und Adel sich im tiefsten Herzen erkennten usw. Die Liebe, das Erkennen, das aus ihr hervorgeht, ist keine Wissenschaft, sondern eine Flamme, die mächtig das Innere belebt und ergreift und auf alle Äußere einen heiligen Glanz wirft.«

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